LEG 2
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 1
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 2
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 3
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 4
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 5
Steffen Graupner – Polarsterntagebuch Teil 6
LEG 5
Startet in wenigen Tagen!
18. Dezember 2019
86° 41’N, Driftend nach Westen.
15 Uhr Bordzeit (13 Uhr Jena)
Die „Kapitan Dranitzyn“ ist eben abgefahren. Die Scholle ist unser!
Ja, das ist schon ein komisches Gefühl, wenn die KD ablegt und dann nach wenigen Stunden am Horizont verschwunden ist. Das nächste Schiff wird, wenn alles nach Plan geht, erst Mitte Februar wieder hier ankommen. Bis dahin sind wir allein auf unserer Scholle. Wir haben alle Optionen unsere Arbeit zu gestalten – und alle Verantwortung. Was im Gesamtpaket auch irgendwie schön ist.
Die 5 Tage Übergabe waren der blanke Stress…
Also zunächst mal natürlich großes Hallo mit den Kollegen von Leg 1, die auch sehr emotional berührt waren, dass wir es tatsächlich zu ihnen geschafft haben und sie von der Scholle nach Hause bringen werden. Dann kam der große Chef vom MOSAiC-Projekt, Markus Rex, zu uns auf die KD, Begrüßung, erste Einweisung, Planung der Übergabe und der nächsten Tage in den einzelnen Teams.
Das hieß ganz viele Meetings im LogOffice (= Logistics Team Office), um von den Kollegen zu lernen und ebenso viele Rundgänge im Feld draußen. Absolut bewundernswert, was die Kollegen von Leg 1 in den letzten drei Monaten hier unter schwierigsten Bedingungen geleistet haben, die ganzen Wissenschaftsstädte aufgebaut haben. Und noch mal neu aufgebaut. Und wieder aufgebaut. Denn das Eis ist viel dynamischer als in den ersten Planungen antizipiert und zerreißt ständig die Camps, bewegt die Cities (Anmerkung Steffen: Bitte mal Plan runterladen auf der AWI Seite und die ganzen Cities auswendig lernen!) fort. Vieles ist schon geschafft. Gleichzeitig ist das Team von Leg 1 absolut erschöpft und an den Grenzen der Belastbarkeit angelangt.
Bissel schwierig auch, weil sie natürlich die „alten Hasen“ sind, wir die „Newbies“, wir auch ganz viele Ideen haben, wie wir Dinge besser machen können, gleichzeitig erstmal kennenlernen müssen, was da ist und wie alles funktioniert. Das wird noch paar Wochen dauern.
In den ersten Tagen habe ich mit dem Norweger Gaute von Leg 1 die TripWire Runde gemacht (Erklärungen siehe unten), mit Trude aus Norwegen Brückenwache, Auden aus Norwegen hat mir gezeigt, wie man Straßenlaternen baut und aufstellt, Hans der Bergführer von Alpinwelten (ggf. googeln) hat uns das Rettungskonzept erklärt und mit uns die Bergung mit Rettungsschlitten geübt – das war wie in einer romantischen ZDF Serie „Die Bergretter“ – bloß ohne Herzschmerzliebesschmalz…
Großen Herzschmerz gab es für mich beim ersten Ausflug zur Dark Site. Ein sehr selbstbewusster, sehr breitbeiniger, sehr amerikanischer Cowboy aus Colorado wollte uns mit den Schneemobilen dort hinbringen, hat mir vor dem Losfahren sehr energisch meinen Eisbärenstock aus der Hand genommen und darauf bestanden, dass er den auf dem Nansen-Schlitten befestigt. Ok. Leider hat er den Stock nur lustlos auf den Schlitten geworfen, die erste Bodenwelle hat meinen Eisbärenstock abgeworfen, das nachfolgende Skidoo ist drüber gefahren und hat ihn mittendurch gebrochen.
Für mich ist das eine absolute Katastrophe!
Zum einen ist der Stock mein zentrales Arbeitsmittel im Konzept des waffenfreien Eisbärenumgangs von Dr. Nikita Ovsyannikov (mehr dazu später, sonst googeln). Ich bin also echt meines wichtigsten Arbeitsinstrumentes beraubt worden.
Zum zweiten ist so ein Eisbärenstock auch eine verdammt emotionale Angelegenheit. Dieser Stock ist irgendwo in Zentralsibirien an einem der Nebenflüsse der Lena nordöstlich des Baikalsees als Ast an einem Baum gewachsen, irgendwann aus Altersschwäche des Baumes oder im gewaltigen Frühjahrshochwasser mitgerissen worden, in die Lena gekommen, tausende Kilometer nach Norden verfrachtet worden, hat das Lena-Delta passiert und seinen Weg gefunden auf die Neusibirischen Inseln. Dort lag er ein paar Jahre im Spülsaum am Strand – in der Zeit des Transportes haben ihn Sonne und Salzwasser und Frost und Schnee und Wellen wunderbar rund gewaschen und ausgebleicht. Als ich ihn im Sommer 2019 bei einer Nordostpassage der MS Bremen gefunden habe, wusste ich sofort: „Das ist mein Stock für MOSAiC!“ Er war einfach perfekt, ca. 2 m lang, 40 mm Durchmesser, leicht und trotzdem stabil. Diesen Stock habe ich auf der Nordostpassage schon als Eisbärenstock benutzt und ihn dann am 24.9. in Tromsö deponiert. (Ich wollte der Lufthansa nicht zumuten, dass sie meinen Stock transportieren müssen.) Lustig war auch die Situation, als ich mit dem Stock in das Polarinstituts Framcenter in Tromsö rein bin, um ihn dort zu deponieren für Miriam, die bis November drauf aufpassen wollte. Die Rezeptionistin im Framcenter hat ganz schön erschrocken geguckt. Als ich mit dem Eisbärenstock zu ihr hin bin, um mich anzumelden, da wanderte ihre Hand schon zum „Notrufknopf“ unter der Tischkante. Mit einem netten Lächeln, ganz viel blauem Augenaufschlag und einer langen Geschichte von Lena, Nordostpassage und Eisbären konnte ich sie von meiner Harmlosigkeit überzeugen… Miriam hat den Stock gut verwahrt, mir am 25.11. wieder in die Hand gegeben, der Stock ist auf der Dranitzyn wieder gen Osten ins Eis hineingefahren. Dieser Stock sollte mich die ganze Zeit von MOSAiC begleiten und beschützen und dann ab Herbst 2020 in mein privates kleines Arktismuseum übersiedeln…
Ja, und dann macht ihn am ersten Tag von Leg 2 ein Teilnehmer von Leg 1 aus Achtlosigkeit kaputt. Echt kacke!!!
Jetzt die letzten Tage habe ich temporär einen alten Alustab als Ersatz genommen. Sowie mal bissel freie Zeit ist, werde ich hier übers Schiff tigern, mit dem Tischler reden und schauen, ob wir mir einen neuen Stab machen können. Der soll dann in der Schmiede auch einen Dorn aus Stahl am unteren Ende kriegen, damit wir das Eis beproben können.
Drei Tage haben wir von Leg 2 noch auf der KD gewohnt, am Montag 16.12. sind wir auf die PS umgezogen. Das hieß: am Vorabend unsere Sachen auf der KD packen, Montag Vormittag unsere privaten Sachen aufs Vorschiff räumen, die dann per Lastenkran auf die PS transportiert wurden, retour dann die privaten Sachen der Leute von Leg 1 auf die KD und wir haben deren Gepäck auf der KD in den Speisesaal geschleppt. Entsprechend spiegelbildlich lief das auf der PS ab.
Montag 16.12. um Punkt 12 Uhr haben wir die PS übernommen und sind seitdem verantwortlich. Man muss es wirklich so scharf definieren von der Zeit her – denn den Fahrtteilnehmern von Leg 1 und deren Fahrtleitung fiel das Loslassen nicht so ganz leicht. Das Ganze hat schon bissel was von (absolut notwendigem) „Vatermord“. Zwei Tage lief es dann so, dass wir offiziell schon in Verantwortung für Leg 2 auf der PS waren und täglich die Kollegen von Leg 1 auf der KD zu uns kamen, um uns bei den ersten Schritten zu helfen und weiter die Übergaben in ihren Teams zu machen.
Keine einfache Situation, aber wir haben sie unter minimalen Reibungsverlusten gut gemeistert. Die Hilfe der Kollegen von Leg 1 war absolut wertvoll.
Parallel lief das Bunkering. Heißt, dass wir Sprit von der KD in die PS gepumpt haben und die Küche hat eben auch viele viele Tonnen Nahrungsmittel übernommen, gleichzeitig wurden für die Wissenschaftsteams ca. 70 Tonnen Equipment auf die PS gebracht.
All das geht nur unter permanentem Eisbärenschutz. Das heißt, dass, ehe die Gangway der PS aufs Eis geht (nachts und zu den Pausenzeiten ist sie hochgezogen, denn das Bärchen könnte ja sonst einfach ins Schiff spazieren, muss vom Logistikteam Brückenwache und Sternwache organisiert sein und ein Kollege dort Dienst tun.
Gleich mit der ersten Delegation der PS am 13. Dezember (übrigens Freitag der 13.!!!) kam Bjela König (Logistikteam Leg 1) zu uns auf die KD. Für mich war das ein sehr freudiges Wiedersehen, denn mit Bjela habe ich viele arktische Reisen für Hapag-Lloyd auf der MS Bremen geteilt. Bjela hat als Nautikerin und Sicherheitsoffizierin auf der MS Bremen gearbeitet, ist jetzt am AWI mit der logistischen Vorbereitung von MOSAiC und dem Sicherheitskonzept betraut gewesen. In den letzten Jahren haben wir zusammen den Fernen Osten Russlands erkundet und sind mit Reisegästen ins Eismeer nördlich von Tschukotka vorgedrungen. Und jetzt also auf großer Expedition! Yippie! Ist irgendwie sehr schön, wenn berufliche und freundschaftliche Kontakte über so lange Zeiten und den Erdball herum so belastbar sind.
Ja, was machen wir hier so den ganzen Tag…?
Ich bin im Logistikteam. Das besteht aus Henning, unserem Gruppenleiter, und noch 8 weiteren Leuten. Unsere Aufgaben des Logistiksteams im engeren Sinne sind:
– Brückenwache
– Sternwatch
– Trip Wire
– Morgeninspektion Straßen, Straßenbau
– Eisbärenwache bei den Teams
– FlexPerson
Kernarbeitszeiten sind die drei Zeitslots, in denen das Eis „offen“ ist, sprich die Gangway unten und alle Teams ihre Arbeiten auf dem Eis ausführen können:
09:00-11:30 Uhr – 13:00-15:00 Uhr – 15:00-17:30 Uhr
Das klingt jetzt nicht so viel – aber man muss bedenken, dass wir ca. 7 Uhr aufstehen, Frühstück, dann gibt es die ersten Meetings mit Wetterinfos, Tagesplanung, dann muss man sich so ab 8:30 anziehen (das dauert ewig mit den ganzen Klamotten) und fürs Eis fertig machen, Waffen holen, in die Systeme eintragen, das ganze nach 11:30 retour und so läuft jeder Slot ab. Also von den anderthalb Stunden Mittagspause 11:30-13:00 bleiben nach Abzug der Zeiten fürs an- und ausziehen und dem zeitaufwendigen Wegschließen der Waffen in einem winzigen Spind unter der Brücke netto real nur 30 Minuten fürs Chapchap übrig.
Nach dem Abendessen gibt es 18:30 ein Meeting für alle Wissenschaftler und Logistiker. Da wird der Plan gemacht für den nächsten Tag und danach wiederum treffen sich die einzelnen Teams in Meetings zur Feinplanung. Meist ist das nicht vor 20 Uhr beendet. Und dann bleibt „Freizeit“, in der man emailen kann oder Sport machen oder in die Sauna gehen oder… noch ein paar Meetings halten.
Bislang habe ich erst die Hälfte von meinem ganzen Kram ausgepackt und bin jede Nacht so kurz nach Mitternacht todmüde ins Bett gefallen. Auf dem Eis sein bei -20 °C bis -30 °C ist schon ganz schön anstrengend.
Und wie laufen nun unsere Tätigkeiten im Einzelnen ab?
Brückenwache des Logistikteams
Ist ganz schöner Stress…
Letztlich ist das die Organisationszentrale für alles auf dem Eis. Man kann sich das wie den Lotsenleitstand in einem vielbeflogenen Flughafen vorstellen…
Wir stehen dazu – zusammen mit dem diensthabenden Offizier der nautischen Mannschaft – auf der Brücke und organisieren alle Aktivitäten auf dem Eis. Dazu nutzen wir ein elektronisches „Excursion Tool“, also eine Art ständig aktivierte Datenbank, auf die alle Arbeitsgruppen von diversen Rechnern aus über das bordeigene schnelle Intranet zugreifen können. In dieses Excursion Tool muss sich jedes Team am Abend vorher eintragen, also angeben, wer wo zu wievielt was und wie lange auf dem Eis machen möchte. Wenn das Team früh um 9 Uhr das Schiff verlässt, muss es Radiocheck mit der Brücke machen und da wird ggf. das Excursion Tool upgedatet, dann meldet sich das Team ab, fährt mit Schneemobil oder geht zu Fuß an seinen Arbeitsplatz, meldet sich erneut, wenn es dort ist. Vorher holen sich der Gruppenleiter und der begleitende Eisbärenwächter auf der Brücke gegen Unterschrift Gewehr und Waffe ab, dazu das Satellitentelefon Iridium. All das muss in Listen eingetragen werden.
Oft sind die Wissenschaftler gänzlich mit ihren Instrumenten und dem Einpacken beschäftigt, und nicht mit dem Excursion Tool und wir müssen korrigieren.
Auf der Brücke habe ich drei riesige Suchscheinwerfer, deren Lichtkegel ich per Joystick überall auf das Eis werfen kann, auch regulierbar im Durchmesser. Dazu noch eine normale Videokamera und eine Infrarotkamera. Mit all dem kann ich die Gegend nach Bärchen abscannen und auch den Arbeitsgruppen in ihren festen Messstädten Licht geben, also in ROV-City (= „Remotely Operated Vehicle“, also Roboter, der unter dem Eis fährt und misst), Met-City (= alle meteorologischen Messungen), Ocean-City (= alles ozeanographische), RS-Site (= Remote Sensing, also Fernerkundung), Ballon-Town (= da steigen die Atmosphären-Ballons alle paar Tage auf), BGC-Site (= BioGeoCycles, dort geht es darum, wie grundlegende Lebensprozesse von Wasser, Licht, Nährstoffen angeregt werden). Die Dark Site (= da muss es immer ganz dunkel sein, ca. 1 Meile weg werden die Einflüsse der Dunkelheit auf das Wachstum von Phytoplankton studiert) darf natürlich kein Licht kriegen…
Die ersten Tage war die ganze Koordination besonders schwierig, weil wir die Namen von Leg 2 Mitarbeitern schon in allen Tools hatten, aber zwischendrin noch die Leute von Leg 1 umhersprangen. Natürlich als wertvolle Hilfe, aber eben doppelt so viele Leute auf dem Eis (100, statt 50) und keine Chance deren Namen zu kennen und in den Tools waren sie nicht erfasst.
Auf Brücke musste ich natürlich erstmal die ganzen Geräte kennenlernen, die Offiziere, alles ist neu.
Das ist der „normale Brückendienst“. Richtig stressig wird es, wenn was passiert. Also wenn z. B. jemand ins Wasser fällt, wie Ally von Leg 1 in eine frische Spalte von Wasser. Zuerst gibt’s ne Meldung an die Brücke von der Stelle, wo das passiert ist, in dem Fall der Dark Site. Dann Kommunikation über die Brücke, ob Rettungskette in Gang gesetzt werden muss oder nicht. (In dem Fall konnte sie mit Begleitung selbst auf dem Skidoo zurück fahren und es ist nix Ernstes passiert).
Meist heißt „was passieren“ aber eher, dass ein neuer Riss oder Eispressrücken im Eis aufgeht und dann eine der Messstädte bedroht. Dann muss die Brückenwache den relevanten Teamleiter benachrichtigen, der muss auf die Brücke, wir gucken uns den Schaden durchs Fernglas an, ggf. wird ein Team rausgeschickt, den Schaden vor Ort zu explorieren und oft muss dann die ganze City in kürzester Zeit evakuiert werden, damit die Geräte und die Leitungen dorthin (Strom, Datenkabel) nicht verlorengehen.
Mittags 11:30 Uhr kommen die Teams vom Eis zurück ans Schiff, dann gibt es wieder Meldungen, die Waffen gehen retour und werden von der Brückenwache in den Schrank eingeschlossen und die Schicht ist vorbei.
Puuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuh.
Sternwatch
Ist gegenüber Brückenwache ein easy Job. Dabei geht es darum, im hinteren Bereich des Schiffes (= Stern) und auf der, die Gangway auf dem Eis umgebenden, hell erleuchteten Arbeitsfläche Eisbärensicherheit herzustellen. Also man geht da mit der Waffe im Außenbereich des CO (= Central Observatory) auf Streife. Die beiden Norweger auf Leg 1 (Gaute & Auden) und Hans & Christian haben für diese Aufgabe, noch ganz am Ende des Schiffes, eine mit Regulator beheizte kleine Ausguckhütte aus Holz und mit riesigem Panoramafenster gebaut – sie hatten nämlich ziemlich gefroren. Die Hütte ist einfach herrlich und professionelle Zimmermannskunst. Sieht auch bissel aus wie Klohäuschen und entsprechend viele Sprüche sind auch schon an die Wände geschrieben und wir werden uns dort sicher auch verewigen. Dort sitzt man dann und scannt das Eis hinterm Schiff ab – mit lichtstarkem Fernglas, mit Nachtsichtgerät, mit Infrarotkamera.
Wenn man Lust auf Rumlaufen hat, geht man aufs Eis, wenn einem kalt ist, in die Hütte. Perfekt! Die Person auf Sternwatch ist auch der „QuickResponder“, also der hat die warmen Klamotten schon an und ein Gewehr dabei, d. h., er kann bei einer Notfallsituation auch ganz fix aufs Eis springen und mit dem Schneemobil Eisbären vertreiben oder zum Rettungseinsatz gehen.
Trip Wire
Um Teile des zentralen Camps, des CO (= Central Observatory, wo wir perspektivisch eben eine Art Flächenschutz „Area Protection“ anbieten wollen bzgl. Eisbärenschutz) geht ein Draht an Zaunslatten herum. An dem Draht sind Signalraketen angebracht, wenn das Bärchen von außen reinläuft, geht die Rakete hoch und wir wissen erstens, dass da ein Bär ist und zweitens wird er oft genug auch davon schon verjagt. Problem ist, dass durch Eisdrift diese Drähte oft zerrissen werden, die müssen dann geflickt werden, auch kann der Sturm die Raketen als blinden Alarm abfeuern und dann müssen neue Raketen angebracht werden. Jeden Morgen muss man zu Fuß, per Ski oder Skidoo diesen TripWire ablaufen und ggf. reparieren.
Morgeninspektion der Straßen
Die Eisverhältnisse sind hier rings um die PS viel dynamischer als erwartet, sprich, ständig öffnen sich Risse von wenigen Zentimetern Breite, werden manchmal zu breiten Wasserstraßen von 5 m und mehr Breite, dann bilden sich dort später Eispressrücken draus oder Teile der Scholle werden durch Scherbewegungen weitergetrieben und unser Camp wird zerrissen.
Von der PS führt ein Netz von Straßen und Leitungen (Strom, Daten) zu den einzelnen Sites. Die Straßen sind mit grünen Fahnen markiert und unbedingt einzuhalten, denn wir wollen auch große Flächen Schnee unberührt lassen, damit dort das ganze Jahr über gemessen werden kann. Wenn Straßen durch Spalten im Eis unpassierbar werden, muss das bei der Morgenkontrolle festgehalten werden und dann wird ggf. ein Team ausgeschickt, welches kurze Brücken (bis ca. 5 m Länge) baut oder eben neue Straße sucht. Das ist ein cooler Job mit dem Schneemobil!
Waffe und Fernglas sind natürlich immer dabei.
Eisbärenwache bei den Teams
Wenn Teams in ihren Cities arbeiten, dann haben sie meist einen ihrer Wissenschaftler dabei als Eisbärenwächter plus noch einen von unserem Logistikteam als Eisbärenwächter. Der ist dann für die Sicherheit der City und der dort arbeitenden Wissenschaftler zuständig. Auch ein schöner Job, weil man draußen ist an der frischen Luft und auch was über die Wissenschaft lernt.
FlexPerson
Von unserem 8er Team versuchen wir mindestens zwei Leute im „freien Dienst“ zu halten für die ganzen Dinge, die mal „so passieren“. Also das FlexTeam baut dann z. B. vorgefertigte Brücken auf Reserve, die wir mit den Nansen-Schlitten (googeln!) dann schnell zu Straßenbauarbeiten mit rausnehmen können. Oder es werden „Straßenlaternen“ zusammengeschraubt. Eine solche habe ich mit dem Norweger von Leg 1 Auden (der hat schon die Drift der Tara mitgemacht, tolle Geschichte 2007) auf einem 4 m hohen Holzmast montiert. Damit beleuchten wir das Eis hinter Met-City, um dort auch in der Dunkelheit die Arbeit für die Eisbärenwächter zu erleichtern und für alle sicherer zu machen.
Das FlexTeam hilft ebenso unserem Pistenbullifahrer Hannes bei der Instandhaltung und Wartung der Schneemobile.
1.000 weitere Arbeiten kommen bei den FlexTeams noch dazu, das werde ich später näher berichten. Am besten man ist da Elektriker, Tischler, Informatiker, Rettungssanitäter, Arktisguide, Physiker, …, alles in einem und dazu noch Psychologe und mit Engelsgeduld gesegnet.
Heut war ein superspannender Tag und ich war den ganzen Tag auf dem Eis.
Früh erstmal Inspektionstour mit Markus zusammen, der ist auch Bergführer bei Alpinwelten. Auf dem Weg zu ROV-City haben wir in der Straße gefunden, dass der kleine Riss von gestern Abend von ca. 30 cm Breite (da kann man mit dem Skidoo noch locker drüber fahren) nun auf 2 m Breite angewachsen ist. Doof. Da kommt man nun nicht mehr rüber. Also zu Fuß Ersatzweg erkundet, einige Behelfsbrücken vorbereitet und gebaut. Als wir dann bei ROV-City ankamen, stellten wir folgendes fest: Der Riss, der gestern mit 10 cm Breite durchs Messzelt ging (das Ice-Team hatte am Abend zum Glück noch das Zelt abgebaut und die Instrumente geborgen), war nun auf 2 m Breite angewachsen. An der Stelle, wo noch bis gestern das ROV-Zelt stand, lädt nun ein kleiner See von 5×5 m zum Baden ein. Doooof nur, dass direkt neben dem See noch ein Messcontainer steht. In 50 cm Abstand zum Wasser. Und ein Schrank mit Steckdosen zur Stromversorgung. Das ist ein 700 kg schwerer Verteilerkasten. Puuuuh. Also flink mit den Skidoos zurück zur PS, die Teamleiter des Eisteams Polona und Christian zur Lagebesprechung auf die Brücke gerufen. Die beiden haben entschieden, dass ROV-City sofort evakuiert werden muss. Also haben wir die Mittagspause mal gleich ganz ausfallen lassen, ich bin mit 4 Leuten vom ICE-Team und einigem Baumaterial für Behelfsbrücken rausgefahren zu ROV-City und wir haben alle wertvollen und unersetzbaren Instrumente aus dem Container geborgen und auf die Nansen Schlitten geladen. Als wir gerade loslegen wollten, noch den Container selbst per Schneemobil zu retten, blies das Schiffshorn der KD – eine ganze Stunde früher als vereinbart – und die wollten auslaufen. Da dürfen wir aus Sicherheitsgründen (Risse im Eis) nicht draußen bleiben. Also mit der ganzen Fuhre von 3 Skidoos, 2 Nansenschlitten, 3 Pulkas im Konvoi full speed zurück zur PS, den Kram an Deck gehoben und der KD beim vorsichtigen Zurücksetzen in ihrer Fahrtrasse vom 13.12. zugesehen und den Kollegen dort Goodbye gewunken. Die Ausfahrt der KD verlief problemlos und hat die Scholle nicht beschädigt.
Mit dem Eisteam von Polona und Christian zu arbeiten macht echt Spaß – ich schätze mal nach dem Aussetzen der 6 Driftbojen von der KD aus und dem Abbergen von ROV-City heute habe ich mich auf das Eisteam als „meine“ hauptsächliche wissenschaftliche und logistische Heimat festgelegt. Fetzt!
Freu mich drauf, ganz viel über Meereis lernen zu können.
Puuuh – und jetzt wartet die Koje!
Gute Nacht und beste Grüße nach Hause!
Steffen
PS allein im Eis bei 86° 30‘N: